Vor zwei Jahren habe ich zusammen mit Il Gusto Barocco und einem exzellenten Sänger-Ensemble Heinichens Oper Flavio wiederentdeckt und uraufgeführt: Leandro Marziotte, Dana Marbach, Alessandra Visentin, Silke Gäng, Nina Bernsteiner, Tobias Hunger und Ismael Arroniz übernahmen die Rollen der sieben Protagonisten. Anfang Dezember wird der Livemitschnitt unserer Aufführung auf drei CDs bei cpo erscheinen. Für uns ist diese CD-Veröffentlichung nach Brescionellos Tisbe (2015) ein wichtiger Meilenstein.

Das Video zeigt einen Ausschnitt unseres damaligen Konzertes: Silke Gäng singt eine Arie der Imiliée und vergleicht ihre ausweglose Situation mit der eines in Bedrohung geratenen Vogels.

Heinichens Oper ruhte rund dreihundert Jahre von der Musikwelt völlig vergessen in den Archiven der sächsischen Staatsbibliothek, bis der amerikanische Musikwissenschaftler Maxwell Sobel die Partitur ebendort wiederentdeckte. Der Senesino-Skandal in Dresden gilt weithin als der zutreffendste Grund, weshalb die Oper Flavio Crispo in ihrer Zeit nicht zur Aufführung kam und somit auch nicht vollendet werden konnte. Der Eklat und die Entlassung der Opernkompanie fand vor der endgültigen Fertigstellung des Werkes statt, so dass Heinichen den Schlusschor nie fertigstellen sollte. Sobel ist es zu verdanken, dass die Oper nach all der Zeit in einer wissenschaftlich zuverlässigen Edition vorliegt und der Schlusschor im Sinne Heinichens ergänzt wurde.

 

Nach der Uraufführung von Brescianellos Tisbe ist Heinichens Flavio die zweite Ausgrabung einer nie gespielten Barockoper mit il Gusto Barocco. Als Koproduktion zwischen SWR und dem Label cpo soll der Konzertmitschnitt vom Juni 2016 im Laufe diesen Jahres auf drei CDS erscheinen. Die historischen Umstände dieser Oper sind besonders: Ein Streit der beiden weltberühmten Kastraten Senesino und Berselli sorgte für einen Eklat, der die Premiere von Heinichens Oper am Dresdner Hof verhinderte. Anekdoten berichten, dass die Sänger dem Komponisten mangelnde Italienisch-Kentnisse vorwarfen und im Probenprozess die Noten vor den Augen des Komponisten zerrissen – andere wiederum, dass Händel auf der Reise von Italien nach London die Dresdner Sänger abwarb. Der provozierte Eklat diente zur Auflösung aller Verträge mit August dem Starken in Dresden.

In diesem Trailer ist die Schlußarie der Elena am Ende des zweiten Aktes zu hören, gesungen von Dana Marbach:

Wenn die Seele das Glück anderer sieht,
fühlt sie sich im Kampf,
ihr innerer Schmerz wird stärker.
Sie seufzt, sie fürchtet sich;
Je weniger der Verstand weiß,
desto mehr klagt sie und fürchtet sich.

Heinichen wählt eine sehr aparte Instrumentierung, um die Reinheit und Zerbrechlichkeit dieser Figur zu charakterisieren: In den Orchester-Ritornellen erklingen drei klagende Oboenstimmen ohne jegliches Baß-Fundament – ihr Klagegesang selbst wird durch leise Pizzicati der Streicher und in unserer Interpretation des Basso Continuo durch Arpeggien der Harfe begleitet. Dieser melancholische und fragile Aktschluß steht beispielhaft für Heinichens poetische und hoch empfindsame Vertonung dieses Opernlibrettos.

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Im Juni 2016 hat il Gusto Barocco Heinichens Oper „Flavio Crispo“ uraufgeführt. Der Mitschnitt des SWR ist jetzt geschnitten und gemischt und wird bald bei cpo auf drei CDs erscheinen.

Johann David Heinichen (1683-1729) war Zeitgenosse Johann Sebastian Bachs, Georg Philipp Telemanns und Georg Friedrich Händels. 1710 reiste er nach Venedig, wo Antonio Lotti und Antonio Vivaldi zu dieser Zeit große Erfolge feierten. Es ist wahrscheinlich, dass Heinichen hier seine Kompositionstechnik der italienischen Oper perfektionieren konnte. August der Starke
engagierte ihn 1717 als Hofkapellmeister an den Dresdner Hof, wo Heinichen für den Rest seines Lebens blieb. Zu Heinichens Unglück stand kurz darauf auch der berühmte Antonio Lotti unter Vertrag, der seinen eigenen Librettisten und ein Ensemble mit nach Dresden brachte. So stand
Heinichen stets im Schatten, bis Lotti 1719 nach Venedig zurückkehrte. Prompt erreichte ihn der Auftrag, für die Saison 1720 die italienische Oper Flavio Crispo zu komponieren. Es sollte seine einzige Oper für den Dresdner Hof bleiben. Das Libretto stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von Stefano Bernardo Pallavicini, der bereits für Antonio Lotti tätig gewesen war.

Im Juni 2016 hat il Gusto Barocco Heinichens Oper „Flavio Crispo“ uraufgeführt. Der Mitschnitt des SWR ist jetzt geschnitten und gemischt und wird bald bei cpo auf drei CDs erscheinen.

Unter August dem Starken erreichte die Hofkapelle in Dresden ihre Blütezeit. Es wurden erstklassige Musiker aus ganz Europa, überwiegend aus Italien engagiert. Auch in Heinichens Kompositionsstil schlägt sich dies nieder: Die Instrumentierung ist mit Hörnern, Flöten und Oboen äußerst reichhaltig. Stilistisch handelt es sich um eine klassische „opera seria“ (dt.: ernste Oper), die hohe Ansprüche von Virtuosität an die Sänger erfordert, vor allem in der für Senesino komponierten Soprankastratenpartie. Der musikalische Satz ist bei weitem nicht mehr so streng kontrapunktisch wie noch bei Scarlatti und Vivaldi. Heinichens Musik zeigt erste Anklänge des melodiösen Stils, den Johann Adolph Hasse weiterentwickelte.

Im Juni 2016 hat il Gusto Barocco Heinichens Oper „Flavio Crispo“ uraufgeführt. Der Mitschnitt des SWR ist jetzt geschnitten und gemischt und wird bald bei cpo auf drei CDs erscheinen.

Heinichens Oper war seinerzeit am Dresdener Hof wenig Erfolg beschieden. Ein Streit der beiden weltberühmten Kastraten Senesino und Matteo Berselli sorgte für einen Eklat, weshalb August der Starke unverzüglich alle Sänger entließ, obwohl Flavio Crispo bereits vollständig komponiert war. Ausschlaggebend war angeblich Senesinos Unzufriedenheit über die Art und Weise, wie Heinichen die italienischen Worte in Musik gesetzt hatte, weshalb er die Noten zerriss und dem Komponisten vor die Füße warf. Senesinos respektlose Einmischung hatte aller Wahrscheinlichkeit nach bestimmte Gründe: Kurz zuvor war Georg Friedrich Händel nach Dresden gereist, um Senesino für seine Londoner Opernakademie zu engagieren. Es ist davon auszugehen, dass der Sänger diesen Eklat absichtlich provozierte, um das Dresdener Vertragsverhältnis rasch zu beenden. Kurz darauf wirkte ein großer Teil des Dresdener Opernensembles bei der Londoner Uraufführung von Händels Radamisto mit!